Arten der Schmerzbehandlung

Psychologische Betreuung von Schmerzpatienten

Arzt-Patient-Interaktion

Patienten mit chronischem Schmerz, die eine neue Behandlung aufsuchen, haben in der Regel bereits eine lange "Patientenkarriere" mit zahlreichen Arztbesuchen, unterschiedlichsten diagnostischen Prozeduren und diversen Behandlungsansätzen durchlaufen. Neben der positiven Erwartung in die Kompetenz der Ärzte und Therapeuten äußern Schmerzpatienten oft verständliche Zweifel in die Angemessenheit und Effizienz neuer Behandlungsangebote und Angst vor Ablehnung und Entwertung (z.B. "Simulant", "Rentenneurotiker"). Hoffnung und Enttäuschung, Idealisierung und Abwertung wechseln in charakteristischer Weise miteinander ab (Hoffmann & Egle 1993). Die Kommunikation mit dem Schmerzkranken wird dabei erschwert durch:

- ein einseitig somatisches Krankheitsverständnis: Nicht zuletzt durch Vertreter des Gesundheitssystems selbst bzw. durch mediale Aufklärung wird ein rein somatisches Gesundheits- und Krankheitsmodell tradiert, demzufolge Schmerz als rein körperlicher Vorgang interpretiert wird. Der Versuch, ein bio-psycho-soziales Schmerzverständnis im therapeutischen Gespräch zu entwickeln, endet nicht selten im Widerstand Betroffener ("Ich bin doch nicht verrückt", "Ich bilde mir die Schmerzen nicht ein", "Ich habe keine psychischen Probleme, nur Schmerzen"), oft gefolgt von Enttäuschung für Arzt und Patient.

- eine externe Kausal- und Kontrollattribution: Mit zunehmender Schmerzdauer neigen Betroffene vermehrt dazu, die Schmerzursache äußeren Umständen (Krankheiten, Wetter, Arbeitsbelastung) zuzuschreiben, auch die Beeinflussbarkeit der Schmerzen wird zunehmend nach außen gerichtet (vermehrt Medikamente, Operationen, Klinikaufenthalte). Eigene Ressourcen in der Vorbeugung (z.B. Entspannung und Regeneration) bzw. Bewältigung von Schmerzen (z.B. Wiederaufnahme von Aktivitäten) rücken zunehmend in den Hintergrund ("Ich kann nichts für meine Schmerzen - ich kann nichts gegen meine Schmerzen tun").

Das Interaktionsverhalten chronischer Schmerzpatienten kann Ohnmachtsgefühle beim Arzt bzw. Therapeuten hervorrufen, die letztlich das Scheitern therapeutischer Beziehungen begünstigen. Im Zusammenhang mit den Schwierigkeiten in der therapeutischen Interaktion mit Schmerzpatienten wurden folgenden zwei psychologischen Modelle entwickelt:

"Pain Games" (Sternbach 1968): Ausgehend von einem transaktionasanalytischen Verständnis postuliert Sternbach den intentionalen Charakter der Schmerzkommunikation: Der Schmerz wird Mittel zum Zweck, um beispielsweise Versorgungswünsche durchzusetzen ("Ich brauche einen Kuraufenthalt" oder um Verantwortung abzulehnen ("ch kann leider nicht mehr arbeiten gehen". So wird von Sternbach hinterfragt, inwieweit chronische Schmerzpatienten tatsächlich geheilt werden wollen.

"Koryphäen-Kiler-Syndrom" (Beck 1977): Auch diesem Modell ist eine pathologische Arzt-Patienten-Beziehung zugrundegelegt, in der der Schmerzpatient zunächst die narzistische Allmachtsphantasie des Arztes mobilisiert ("Sie sind meine letzte Hoffnung, alle vor Ihnen waren Versager"), um diese schließlich zu entwerten ("Ich fürchte, Sie können mir auch nicht helfen, oder hatten Sie schon jemals so einen komplizierten Fall wie mich?") und damit das Scheitern der Therapie einzuleiten.

So verdienstvoll die Berücksichtigung pathologischer Beziehungsmuster für die Analyse von Chronifizierungsprozessen bei Schmerzpatienten ist, so kritisch sind diese beiden Modelle zu hinterfragen: Die ausschließliche Interpretation des Schmerzverhaltens oder der Übertragungsphänomene als Manipulation erscheint zynisch und erweckt den Eindruck, als handle es sich bei den beobachteten Phänomenen im Wesentlichen um Symptome einer zugrundliegenden Störung, etwa einer Organneurose (Franz & Bautz 1993). Beide Modelle intendieren somit ein individualistisches Störungsmodell – der Patient ist die Quelle seiner Probleme – und vernachlässigen andere Einflussgrößen (Basler 1978). Genauso könnte man umgekehrt argumentieren, dass die Allmachtsphantasien des Arztes selbst dazu führen können, dass er heilen muss und dass er durch seine zur Schau getragene Omnipotenz den Patienten manipuliert (Franz & Bautz 1993).

Auch das vorherrschende Krankheitsparadigma ist modellbildend für die Arzt-Patient-Kommunikation: Eine überwiegend objektiv-naturwissenschaftliche Sichtweise von Schmerz scheitert beim Versuch, eine gemeinsame Sprache für das subjektive Schmerzerleben des Patienten zu finden. So wird in der Therapieplanung mitunter von beiden Seiten - Arzt und Patient - an objektivierbaren Befunden festgehalten, auch wenn diese für das Schmerzerleben möglicherweise irrelevant sind. Daraus ableitbare therapeutische Misserfolge führen meist zur gegenseitigen Schuldzuweisung seitens des Patienten ("Therapie ist unwirksam, schlecht durchgeführt") und des Arztes bzw. Therapeuten ("Patient zeigt keine Compliance, Schmerzen sind eingebildet oder übertrieben"), anstatt das ungeeignete einseitige Krankheitsmodells zu korrigieren. Zur Verbesserung der Arzt-Patienten-Interaktionwird daher empfohlen, geeignete Gesprächstechniken für die Kommunikation mit Schmerzpatienten zu erlernen (Jensen 1996) und therapeutisch ungünstige Einstellungen und Verhaltensweisen kritisch zu reflektieren, wie dies beispielsweise durch Teilnahme an Balintgruppen oder psychotherapeutischen Supervisions- und Intervisionsgruppen möglich ist.

Von zentraler Bedeutung für die Diagnostik und Therapieplanung ist das ausführliche Anamnesegespräch, das neben der Krankheitsanamnese (Beschwerdeschilderung, bisher durchgeführte diagnostisch-therapeutische Maßnahmen) auch die Lebensumstände bzw. Biographie des Schmerzkranken beinhalten sollte (Berwald 1993, Egle 1993). Neben der Informationsfunktion besitzt die Anamneseerhebung immer auch eine Interaktionsfunktion: sie ermöglicht der Kontaktaufnahme mit dem Patienten und den Aufbau einer tragfähigen Arbeitsbeziehung; hierdurch ist die Anamnese bereits Teil der Therapie, indem sie das gemeinsame Verstehen der Krankheitssituation des Patienten vor dem bio-psycho-sozialen Hintergrund einleitet (Egle 1993).

Die Erhebung psychosozialer Aspekte sollte dem Patienten unter dem Gesichtspunkt einer umfassenden Diagnostik vermittelt werden, ohne dass hierdurch bereits eine diagnostische oder ätiopathogenetische Vorentscheidung impliziert wird. Aufgrund eines eindimensional-somatischen Krankheitsverständnisses befürchten viele Schmerzpatienten, bereits durch die Befragung nach psychosozialen Zusammenhängen als eingebildete Kranke wahrgenommen zu werden, sodass sie sich einer gezielten psychosozialen Untersuchung mitunter widersetzen. Wenn möglich und sinnvoll, sollte daher die Angst vor Abwertung und Stigmatisierung bereits frühzeitig thematisiert werden.

Empfohlene Themenbereiche eines psychosozial ausgerichteten Anamnesegesprächs sind (Egle 1993, Kröner-Herwig 1993, Berwald 1993):

1. Aktuelle Beschwerden (Schmerzen und andere Beschwerden)

Art, Lokalisation, Häufigkeit, Dauer, Intensität, Beeinträchtigung in verschiedenen Funktionsbereichen, Sichtung der Befunde und Befundbesprechung (Bedeutung der Befunde für den Patienten, offene Fragen, Widersprüchlichkeiten)

2. Krankheitsentwicklung (Zeitachse - life chart)

Chronologie bisheriger Beschwerden, Krankheiten, Unfälle, Operationen, Lebensbedingungen vor Beginn/seit Beginn der Beschwerden

3. Einflussfaktoren und Bedingungen

Faktoren, die die Beschwerden verstärken/lindern, Beeinträchtigung/Behinderung, Reaktionen der Umwelt, Bewältigungsversuche inklusive bisherige Therapie (Einschätzung der Effektivität)

4. Lebenssituation

Beruf (Arbeitsstil, Ziele, Arbeitsklima), Familie/Partnerschaft (Partnersituation, Sexualität, Wohnsituation, Rollenfunktion in Erziehung der Kinder/Haushalt, sozioökonomischer Status, Beziehungen zu Angehörigen), Freizeitverhalten (Hobbies, Freunde)

> Veränderungen vor/seit/durch die Beschwerden/Krankheit

5. Familienanamnese/Biographie

Familienstruktur (Geschwisterposition, Rollenverteilung), emotionale Atmosphäre im Elterhaus, Weltbild, Erziehungsstil, Wechsel des Bezugssystems (Übersiedlungen, Schulwechsel), Ablösung vom Elterhaus, Konflikte, Traumatisierungen, Krankheiten und Todesfälle bei Angehörigen (Zeitachse)

6. Persönlichkeit

Selbstbeschreibung, Fremdbeurteilung, Stressbewältigung, schulische/berufliche Entwicklung, Freundschaften/Beziehungen (Rollenverhalten, Peer Groups, Partnerschaften)

> Veränderungen vor/seit/durch die Beschwerden/Krankheit

7. Subjektives Krankheitskonzept

Subjektives Erklärungsmodell, interne (ich selbst...) versus externe (die Anderen, Umwelt/Witterung, Schicksal,...) Kausalattributionen, interne (ich selbst..) versus externe (Ärzte, Medikamente,...) Kontrollattributionen, aktive (ich selbst...) versus passive (die Anderen) Veränderungserwartung



Grundhaltung in der psychologisch-psychotherapeutischen Therapie von Schmerzpatienten ist die Vermittlung eines bio-psycho-sozialen Krankheitsmodells, das die Entstehung und Aufrechterhaltung von Schmerzen als Wechselwirkung möglicher biologischer Vulnerabilitätsfaktoren (z.B. Fehlhaltung als Vorbedingung für Rückenschmerz) und psychosozialer Faktoren (z.B. Lebensverändernde Ereignisse, Persönlichkeitsmerkmale, maladaptives Krankheitsverhalten) zu verstehen sucht. Bausteine der psychologisch-psychotherapeutischen Arbeit sind (Basler et al. 1993, Bach et al. 2001):

  • Aufbau einer tragfähigen, gegenseitig wertschätzenden therapeutischen Beziehung
  • Informationsvermittlung (psychoedukativer Ansatz)
  • Anleitung zur Selbstbeobachtung (Symptomtagebuch)
  • Vermittlung von Selbstmanagement- und Stressbewältigungstechniken (Entspannungs-, Meditations- und Imaginationsverfahren, eventuell unter Biofeedback-Kontrolle)
  • Kognitive Therapie dysfunktionaler Gedankenprozesse
  • Abbau von Schon- bzw. Vermeidungsverhalten
  • Körper- bzw. Leibtherapie
  • Förderung von Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
  • Verbesserung der Beziehungsfähigkeit und Konfliktbewältigung
  • Verbesserung der emotionalen Ausdrucksfähigkeit, Schmerz-Affekt-Differenzierung
  • Bearbeitung negativer Affektivität (z.B. Trauerarbeit) und Traumatherapie

    Der chronische Krankheitsverlauf, die Insuffizienz herkömmlicher medizinischer Behandlungsangebote, der häufige Arztwechsel und das gegenseitige Misstrauen bei Patienten mit chronischen Schmerzen stellen eine große Belastungsprobe für das Arzt-Patienten-Verhältnis dar. Zur Verbesserung der therapeutischen Interaktion werden daher - neben spezifischen Interventionsmaßnahmen – einige Grundregeln für das Patientenmanagement empfohlen:

  • Regelmäßige Kontakttermine (weitgehend unabhängig vom aktuellen Beschwerdeausmaß bzw. Beeinträchtigungsgrad)
  • Durchführung von Hilfsuntersuchungen nur bei klarer Indikation (Vermeidung von Gefälligkeitsuntersuchungen aufgrund des hartnäckigen Einforderns der Patienten)
  • Vermeidung von Arztwechsel (nur 1 "Patientenmanager" pro Patient! Beiziehung von Fachkollegen mittels genauem Informationstransfer und Abstimmung der Vorgangsweise).

 

 

Literatur

Bach M, Aigner M, Bankier B (2001). Schmerzen ohne Ursache – Schmerzen ohne Ende. Konzepte – Diagnostik – Therapie. Wien: Facultas-Verlag

Basler HD, Franz C, Kröner-Herwig B, Rehfisch H, Seemann H (1993). Psychologische Schmerztherapie. 2. Auflage. Springer Verlag, Berlin-Heidelberg-New York.

Basler HD (1978). Verschiedene Krankheitsmodelle und deren psychologische Konsequenzen. In: Basler HD (Hrsg.) Medizinische Psychologie II. Sozialwissenschaftliche Aspekte der Medizin. Kohlhammer, Stuttgart.

Beck D (1977). Das „Koryphäen-Killer-Syndrom“. Zur Psychosomatik chronischer Schmerzzustände. Deutsche Med Wochenzeitschrift 102: 303-307.

Berwald HG (1993). Die Anamnese des Patienten mit chronischen Schmerzen. In: Basler HD, Franz C, Kröner-Herwig B et al. (Hrsg.) Psychologische Schmerztherapie. 2. Auflage. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York, pp. 174-206.

Egle UT (1993). Die biographische Anamnese als diagnostische Grundlage im Rahmen eines bio-psycho-sozialen Schmerzverständnisses. In: Egle UT, Hoffmann SO. (Hrsg.). Der Schmerzkranke. Grundlagen, Pathogenese, Klinik und Therapie chronischer Schmerzsyndrome aus bio-psycho-sozialer Sicht. Schattauer Verlag, Stuttgart-New York.

Franz C, Bautz M (1993). Das Interaktionsverhalten des Patienten mit "chronisch unbehandelbarem Schmerz". In: Basler HD, Franz C, Kröner-Herwig B et al. (Hrsg.) Psychologische Schmerztherapie. 2. Auflage. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York, pp. 430-447.

Hoffmann SO, Egle UT (1993). Das klinische Bild des Schmerzkranken. In: Egle UT, Hoffmann SO. (Hrsg.). Der Schmerzkranke. Grundlagen, Pathogenese, Klinik und Therapie chronischer Schmerzsyndrome aus bio-psycho-sozialer Sicht. Schattauer Verlag, Stuttgart-New York.

Jensen MP (1996). Enhancing motivation to change in pain treatment. In: Gatchel RJ, Turk DC (Eds.) Psychological approaches to pain management. A practitioner’s handbook. Guilford Press, New York-London, pp 78-111.

Kröner-Herwig B (1995). Psychosoziale Diagnostik in der Schmerztherapie. In: Basler HD, Franz C, Kröner-Herwig B, Rehfisch H, Seemann H (1993). Psychologische Schmerztherapie. 2. Auflage. Springer Verlag, Berlin-Heidelberg-New York, pp 161-173.

Sternbach RA (1968). Pain: a psychophysiological analysis. Academic press, New York.

 

 

Autor

Univ.Prof.Prim. Dr. Michael Bach